Vortragsreihe: Die Uni im Kapitalismus

Teil 1: Zur politischen Ökonomie des bürgerlichen Wissenschaftsbetriebs


Montag, 04.12.2023, 19 Uhr
Elchkeller, Schneiderberg 50 (neben der Hauptmensa)


Wer an der Uni studiert oder lehrt, sollte sich nicht nur über die eigenen persönlichen Interessen an ihr und in ihr im klaren sein, sondern auch auf die Zwecke reflektieren, die der Staat verfolgt, wenn er Universitäten einrichtet, finanziert und ausstattet sowie gesetzlich reguliert. Er bestimmt die Aufgaben und Ziele sowie die materiellen Bedingungen des Wissenschaftsbetriebs und unterwirft dessen Funktionen seiner je aktuellen Staatsräson. Die schließt im Kapitalismus bekanntlich die permanente Steigerung des Wirtschaftswachstums als notwendiges Erfordernis für eine gedeihliche Entwicklung der Gesellschaft wie der Staatsmacht selber ein. Diesem Imperativ folgt daher auch jede besondere Spielart von Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die von den wechselnden Regierungen ins Werk gesetzt wird. Dieser erste Vortrag von dreien (s.u.) erklärt die Funktionen des wissenschaftlichen Forschungsbetriebs für Kapital und Staat und erläutert, warum die Einzelkapitale, die die gesellschaftlichen Hauptnutzer der Resultate der Wissenschaft sind, sie dennoch
auf gesellschaftlichem Maßstab nicht selbst organisieren können. Warum muss der Staat, als von der ökonomischen Sphäre getrennte, politische Gewalt,
einen öffentlichen Wissenschaftsbetrieb betreiben? Wie bewirkt er, dass verlässlich in seiner Gesellschaft geforscht und entwickelt wird, so dass stets neue, immer
produktivere Produktionstechnik zur Verfügung steht, mit der das nationale Gesamtkapital seine Akkumulation beschleunigen kann? Welche Rolle spielen dabei
die grundgesetzliche Garantie der Freiheit der Wissenschaft sowie das Patentrecht? Welche gesellschaftlichen Interessengegensätze ergeben sich aus der Art, wie der
Forschungsbetrieb organisiert wird?

Teil 2: Zur gesellschaftlichen Funktion der Studenten


Montag, 11.12.2023, 19 Uhr
Elchkeller, Schneiderberg 50 (neben der Hauptmensa)

Wenn Studenten gegen die Unterfinanzierung der Unis, schlechte Studienbedingungen, geringe BAFöG-Sätze etc. protestieren, argumentieren einige von ihnen – zum Glück nicht alle – damit, dass es sich bei ihnen um die künftigen Leistungsträger der Nation handelt, um hochqualifizierte Arbeitskräfte, auf die die deutsche Wirtschaft und die staatliche Bürokratie jederzeit angewiesen sind. Es könne doch nicht im Interesse der Politik sein, diese „Humanressource“ stiefmütterlich zu behandeln oder ihre bestmögliche Entwicklung zu behindern. Damit wird unterstellt, es gebe ein gemeinsames, kongruentes Interesse von Staat und Studenten. Während jeder einzelne der Studierenden ein Interesse an möglichster Erleichterung seiner Ausbildung hat, zielt der Staat jedoch darauf ab, bestimmte Mengen an spezifisch qualifizierter Arbeitskraft dem Arbeitsmarkt zuzuführen, und dabei ist es ihm gleichgültig, ob Harry oder Hermione zu den Absolventen mit Lizenz zur Berufsausübung gehören. Zum „Humankapital“ der Nation gehören nur diejenigen, die tatsächlich als Arbeitskräfte fungieren, alle Überflüssigen sind Kostenfaktoren für Staat und Gesellschaft, in deren Ausbildung zu investieren sich nicht lohnt. Der Staat organisiert daher auch nicht „Bildung für alle“ an seinen Schulen und Hochschulen sondern die Konkurrenz der Schüler und Studenten um den Erwerb von Arbeitslizenzen, und er betreibt deren Selektion mit einem mehrgliedrigen Schulsystem, mit Noten, Zeugnissen, Zertifikaten und akademischen Graden.
Das Partikularinteresse der einzelnen Studenten an guter Ausbildung und das Staatsinteresse an der Befriedigung des Bedarfs von Wirtschaft und Verwaltung an genügendem, spezifisch qualifiziertem Arbeiternachwuchs divergieren also generell und stehen im Einzelfall gegen einander. In jedem Fall betrachtet die herrschende
Politik die Gesamtheit der Bevölkerung vom Standpunkt der Staatsräson und behandelt sie als Menschenmaterial, das es effizient einzusetzen gilt für den Erfolg der eigenen Nation in der Weltmarktkonkurrenz.

Teil 3: Wissenschaftlicher Pluralismus, die Freiheit der Lehre und ihre Einschränkungen


Montag, 18.12.2023, 19 Uhr
Elchkeller, Schneiderberg 50 (neben der Hauptmensa)


In den Naturwissenschaften gilt der strenge Begriff der Wissenschaft praktisch. Diese finden Naturgesetze, die die beobachtbaren Phänomene mit strenger Allgemeinheit und Notwendigkeit regulieren und die sich widerspruchsfrei in ein System des Wissens einfügen. Die Ingenieurwissenschaften beweisen durch ihre technologische Forschung handgreiflich, dass man auf Basis der theoretischen Einsichten in die Naturgesetze und mittels der Herstellung spezifischer Randbedingungen für die Betätigung von Naturkräften Produktionsmittel bauen kann, mit denen man planmäßig Naturkräfte auf Arbeitsgegenstände wirken lassen und automatisiert identische Massenfabrikate erzeugen kann. Die Geltung des klassischen, objektiven Wahrheitsbegriffes, die
Übereinstimmung des Denkens mit seinem Gegenstand oder dass das Denken schlichtweg „stimmt“, wird hier tagtäglich vorgeführt. In den Geistes- und Sozialwissenschaften haben sich dagegen subjektivistische und relativistische Begriffe von „Erkenntnis“ durchgesetzt, die sich mit dem bloßen Fürwahrhalten zufrieden geben: Was wahr sei, sei erstens abhängig von der Stellung
des Subjekts zur Sache, zweitens ein historisch zufälliger Konsens einer Mehrheit, der jeweils Minderheiten mit abweichenden Meinungen gegenüberstehen, drittens stets veränderlich und also gar nicht objektiv bestimmbar. Dass die vielen subjektiven „Perspektiven“ auf die Dinge oft im Widerspruch zueinander stehen und unvereinbare Begriffe der Sache hervorbringen, stört diese GeWis und SoWis nicht. Ihre wechselseitige Kritik richten sie statt auf die Stimmigkeit der Begriffsbestimmungen auf die Frage, ob die gewählte „Methode“ eingehalten wurde. Statt Wahrheit genügt Folgerichtigkeit, statt Objektivität der Erkenntnis die Plausibilität der Präsentation, die ihrerseits abhängt von dem zufälligen bias des Rezipienten der Theorie. Den Mangel
an verbindlicher Erkenntnis verfabeln sie zur adäquaten Realisation der Freiheit des Geistes, wie sie der bürgerlichen Demokratie gut zu Gesicht stehe. Wer am objektiven Wahrheitsbegriff festhält, seine Kritik der kapitalistischen Gesellschaft als wissenschaftlich begründet vorträgt, daraus gewisse politische Konsequenzen zieht und die bürgerlichen Theorien als Ideologien bekämpft, wird von den demokratischen Pluralisten im Wissenschaftsbetrieb ausgegrenzt. Gerade weil sie auf der Denknotwendigkeit ihrer Gesellschaftskritik beharren, gelten Marxisten als
Feinde der Demokratie. Für den Staat hört hier der Spaß auf, und er legt fest, unter welchen Bedingungen er ihnen die Lehrbefugnis entzieht und Berufsverbote ausspricht


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