Pressemitteilung: Frontex made in University

Der Anfang vom Ende der Zivilklausel: Forschung an Hochschulen, die es mit gesellschaftlicher Verantwortung nicht ernst nehmen.

Während es in den letzten Tagen auf der Bologna-Ministerialkonferenz in Tirana, Albanien um den verantwortungsvollen Einsatz von KI in Forschung und Lehre ging, beteiligen sich Hochschulen längst an der Entwicklung und Erforschung von KI, zum Schutz der „Festung Europa“ – auf dem Rücken der Menschenrechte und -würde. Hochschulen, die daran mitwirken, verfehlen ihre gesellschaftliche Verantwortung und beteiligen sich an einem strukturellen Problem. Trotz dokumentierter Menschenrechtsverletzungen (u.a. durch Mare Liberum oder Lighthouse Reports) von Frontex – der sogenannten Grenzschutzagentur – arbeiten Hochschulen mit dieser Agentur der Europäischen Union und ähnlich problematischen Unternehmen zusammen. Im Folgenden zwei Fälle:

Fall #1 Hannover: iBorderCtrl
Um die „Festung Europa“ zu sichern ist die Leibniz Universität Hannover an verschieden Projekten beteiligt, die entweder von Sicherheitsbehörden und Bundeswehr genutzt werden können, oder teilweise sogar von ihnen finanziert werden. Hierbei handelt es sich um Projekte rund um Drohnenforschung, automatisierter Verarbeitung von Bildern und Videos sowie Unterstützung militärischer Sicherung der EU-Grenzen. Gerade um die Sicherung der Außengrenzen Europas im Rahmen des Projekts „iBorderCtrl“ (Projektzeitraum von 2016 bis 2019) zu gewährleisten, hat sich die LUH auf die Fahne geschrieben „rechtliche und ethische Fragen“ zu klären[1]. Dass aber eine Mitwirkung bei der Forschung und Entwicklung von Projekten, die militärisch und (potentiell) gegen Menschen eingesetzt werden können, gegen den „friedlichen“ Anspruch der Leibniz Universität Hannover spricht, scheint hier für die Verantwortlichen keinen Widerspruch darzustellen. Die Kontrolle dieser Projekte fand durch einen unabhängigen Ethikberater statt. Unabhängig heißt hier, dass der Berater weder für Projektpartner*innen arbeitet, noch mit der Projektleitung befreundet sein darf. Dass der zuständige Ethikberater zeitgleich auch Lehrbeauftragter an der Leibniz Universität Hannover war, somit nicht unabhängig und den Vorgaben der EU-Kommission widerspricht, wird von den Beteiligten auch gerne mal unter den Teppich gekehrt. Zitat der Leibniz Uni: „Nein, ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis ist in Hinblick auf die Stundenanzahl und Vergütung der Lehraufträge LUH-seitig entschieden zurückzuweisen.”

[1] siehe www.jura.uni-hannover.de/de/forschung/forschungsbereiche/einzelansicht/projects/iborderctrl

Fall #2 Darmstadt & Magdeburg: Frontex
In Darmstadt sorgte bereits 2022 die Enthüllung der aktiven Beteiligung der Hochschule an Frontex-Lobbytreffen im Jahr 2019 und 2020 für Aufsehen und Diskussionen über die ethischen Implikationen[2]. Auch die Universität Magdeburg war 2019 an dem Lobbytreffen beteiligt. In beiden Fällen handelte es sich um die “International Conference on Biometrics for Borders”, wie aus den geleakten Unterlagen hervorgeht. In Darmstadt wurde seitens der Hochschule betont, dass es sich nicht um eine Kooperation gehandelt hat und nur auf Einladung von Frontex teilgenommen und vorgetragen wurde: Ein Experte für gemorphte Bilder vom Fachbereich Informatik referierte auf der Konferenz zur Fälschungssicherheit biometrischer Ausweisdaten. Das dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf einer Veranstaltung von Frontex stattfand schien die Hochschule respektive den Experten nicht abzuhalten. Wie eine solch intransparente Unterstützung eines menschenverachtenden Abschottungssystems mit dem Grundsatz der Internationalität und der Einhaltung ethischer Standards vereinbar ist, scheint fragwürdig. Zitat der Hochschule Darmstadt: „Wir finden es grundsätzlich begrüßenswert, wenn sich eine im Wachstum befindliche EU-Agentur [hier: Frontex] mit Sachverstand aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft beraten lässt.“

[2] siehe www.asta-hochschule-darmstadt.de/aktuelles/update-offener-brief-an-die-hochschule-darmstadt-keine-zusammenarbeit-mit-frontex

Nicht selten sind es finanzielle Beweggründe, weshalb Einrichtungen wie die Leibniz Universität Hannover oder die Hochschule Darmstadt an kritischen Projekten beteiligt sind. Die Unterfinanzierung der Hochschulen schafft eine bedrohliche Abhängigkeit von Drittmitteln, deren tatsächliche Verwendungsbedingungen in der Regel nicht offengelegt werden (müssen). Das birgt folglich eine sehr hohe Intransparenz, die eine demokratische Mitbestimmung unmöglich macht. Diese Abhängigkeit der wettbewerblichen Mittelvergabe stellt die Freiheit der Wissenschaft grundlegend in Frage. Eine ethische Bewertung und Entscheidung darüber, wer mit wem, woran, mit welchem Interesse und in wessen Auftrag forscht, ist in dann nur anhand der Ergebnisse entsprechender Investigativrecherchen, wie kürzlich zu KI-Forschungsprojekten (www.fuckoffai.eu) oder bspw. zur Zusammenarbeit mit Rüstungskonzernen und Frontex (www.frontexfiles.eu) möglich. Schon alleine aus diesem Grund braucht es Transparenz- und Zivilklauseln an allen öffentlichen Hochschulen.

Die Zivilklausel ist eine Selbstverpflichtung wissenschaftlicher Einrichtungen, aus-schließlich zu zivilen bzw. friedlichen Zwecken zu forschen. Rund 70 deutsche Hochschulen sowie die Landeshochschulgesetze in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Bremen verfügen über Zivilklauseln, deren Umfang und Ausgestaltung variieren[3]. Seit den 1980er Jahren gibt es in Deutschland Zivilklauseln, die auf Druck der Friedensbewegung eingeführt wurden, um Abrüstung zu unterstützen. Jedoch ist die hart erkämpfte Zivilklausel in Zeiten voranschreitender Militarisierung, nicht zuletzt im Zuge der postulierten Zeitenwende, in Gefahr. In Bayern wird aktuell ein „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr“ vorangetrieben[4]. Dieses Gesetz fördert unter anderem die enge Zusammenarbeit von Bildungseinrichtungen mit der Bundeswehr und plant das Verbot von Zivilklauseln (obwohl es davon derzeit in Bayern keine gibt). Daher müssen wir den Kampf gegen Militarisierung und Aufrüstung auch an Hochschulen auf die Tagesordnung setzen.

[3] siehe www.zivilklausel.de/index.php/bestehende-zivilklauseln
[4] siehe [4] siehe www.bayern.de/wp-content/uploads/2024/02/Entwurf-Gesetz-zur-Foerderung-der-Bundeswehr

von N.L., T.B., S.W.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter: